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Cantica Sibyllarum

Die Frauenschola „Cantica Sibyllarum“ (Gesänge der Sibyllen) beschäftigt sich mit dem Repertoire der Wiege unserer Musikkultur, der Gregorianik im weitesten Sinne. Dazu gehört beispielsweise neben dem klassischen Repertoire auch die besondere Musik der Hildegard von Bingen und Repertoire aus verschiedenen Handschriften Spaniens, Frankreichs und Italiens, die teilweise auch mehrstimmige Musik enthalten.

Die Programme:

O virtus Sapientiae (O Tugend der Weisheit)– Eine Hildegard von Bingen Vesper

Musik auf dem Jakobsweg – Auf klangliche Spurensuche der Pilger des 13. und 14. Jahrhunders

Mysterium Maria – Marienlieder aus dem mittelalterlichen Italien, Spanien und Frankreich

Chöre der Engel Hildegard

 

Wer waren die Sibyllen?

Platon beschreibt sie als Prophetinnen, die die Zukunft „unaufgefordert in einer ekstatischen Form“ aussagten. Diese Tradition stammte ursprünglich aus dem Orient und breitete sich von Griechenland in der Antike aus bis nach Italien und Südspanien, wo bis heute beispielsweise auf Sardinien/Alghero und in Spanien/Mallorca alljährlich zu Weihnachten ein überliefertes Lied der eritreischen Sibylle (aus dem 1.Jh.) gesungen wird. Im Judentum und Christentum waren sie gleichermaßen präsent und galten im Mittelalter als Künderinnen der Heilsbringung. Zahlreiche Weissagungen sind uns in Klosterbibliotheken erhalten geblieben.

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Hildegard von Bingen wurde schon zu Lebzeiten die „rheinische Sibylle“ genannt.

Weissagung der erythräischen Sibylle über den Weltuntergang:

Judicii signum : tellus sudore madescet.
Eccelo rex adveniet per secla futurus,
Scilicet in carne presens ut judicet orbem. – Judicii…
Unde Deum cernent incredulus atque fidelis,
Celsum cum sanctis, oevi iam termino in ipso. – Judicii
Sic anime cum carne aderunt, quas judicet ipse,
Cum jacet incultus densis in vepribus orbis. – Judicii
Rejicient simulacra viri, cunctam quoque gazam :
Exuret terras ignis, pontumqi-ie polumque. – Judicii
Inquirens, tetri portas effringet Averni.
Sanctorum sed enim cuncte lux libera carni. – Judicii
Tradentur sontes oeternaque flamma cremabit.
Occultes actus retegens, tunc quisque loquetur. – Judicii
Secreta, (at)que Deus reserabit pectora luci.
Tunc erit et luctus, stridebunt dentibus omnes. – Judicii
Eripitur solis jubar, et chorus interit astris.
Volvetur coelum, lunaris splendor obibit. – Judicii…
Dejiciet colles, valles extollet ab imo.
Non erit in rebus hominum sublime vel altum ; – Judicii
Jam oequantur campis montes, et coerula ponti.
Omnia cessabunt, tellus confracta peribit. – Judicii…
Sic pariter fontes terrentur, fluminaque igni.
Sed tuba tum sonitum tristem demittet ab alto. – Judicii
Orbe, gemens facinus miserum variosque labores :
Tartareumque chaos monstrabit terra deiscens. – Judicii
Et coram hic Domino reges sistentur ad unum :
Recidet e coelo ignisque et sulphuris amnis. – Judicii…

 

Die Anfangsbuchstaben jeder Zeile zusammengefügt ergeben das Akrostichon: ‘Ihsouj Cristoj qeou uioj swthr. Aus dem Griechischen übersetzt bedeutet es: Jesus Christus, Gottes Sohn, Heiland. Allerdings sind manche Initialen bei der Übersetzung ins Lateinische verloren gegangen. Nur im griechischem Urtext stimmen die Buchstaben lückenlos mit dem Text überein.

Übersetzung:

Das Zeichen des Gerichts: Die Erde wird triefen von Schweiss.

Vom Himmel wird ein König kommen für alle zukünftigen Zeiten, um selbst alles Fleisch, alle Welt zu richten.

Daher wird der Ungläubige wie der Gläubige Gott schauen hoch oben mit den Heiligen am äussersten Ende der Zeit.

So werden die Seelen auch leiblich zugegen sein, und er selbst richtet sie.

Während die Erde brach liegt in dichtem Dorngebüsch, wird der Mensch die Götzenbilder verwerfen und dazu den ganzen Reichtum.

Feuer wird die Erde verbrennen, und Meer und Himmel durchsuchend, wird es die Tore der schrecklichen Hölle ausreissen.

Doch freies Licht wird sich auf die gesamte Körperschaft der Heiligen ergiessen, die Schuldigen aber wird ewiges Feuer verbrennen.

Verborgene Taten aufdeckend, wird ein jeder dann Geheimnisse offen besprechen, und Gott wird die Herzen dem Licht wieder öffnen.

Heulen wird dann sein und überall Zähneknirschen.Die Sonne wird ihres Lichtes beraubt, und der Sterne Reigen vergeht.

Der Himmel wird sich umwälzen und der Glanz des Mondes verlöschen.

Die Berge wird er niederwerfen, die Täler aus der Tiefe heben. Nichts Hohes oder Erhabenes wird es mehr geben im menschlichen Bereich.

Der Ebene gleich werden die Berge sein und die blaue Tiefe des Meeres, alles wird zu einem Ende kommen, zerschlagen wird die Erde vergehen: So werden ebenfalls die Quellen und Flüsse im Feuer austrocknen.

Doch dann schickt die Posaune ihren schaurigen Schall von oben zur Erde herab und, traurige Untat beklagend, verschiedene Plagen, die Erde, sich spaltend, wird das Chaos des Höllengrunds zeigen.

Und hier vor dem Herrn werden sich die Könige alle versammeln. Vom Himmel wird sich ein Strom von Feuer und Schwefel ergiessen.

Übersetzung: Thomas Ogger

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